Von der Inful zur Iffele

Die ersten Dezembertage sind erfüllt von verschiedenen Bräuchen zu Ehren des Hl. Nikolaus, des Bischofs von Myra, welches in der heutigen Türkei liegt. Bei uns bekannt als Samichlaus, ist er allen Kindern eine vertraute Gestalt. Am 6. Dezember, dem Todestag dieses grossen Heiligen und Kinderfreundes aus dem 4. Jh., gedenkt man seiner in der ganzen christlichen Welt.

Viele Ortsbräuche beginnen am Vorabend. Besonders bekannt ist das Chlausjagen am Abend des 5. Dezember in Küssnacht am Rigi. Es interessieren hier vor allem die prachtvollen Iffelen. Der imposante Kopfschmuck wird von sogenannten «Lichtkläusen» getragen, die in weissen Gewändern mit goldenen und roten Bändern und Gürteln verziert, die bis zu 2 m hohen und bis zu 20 kg schweren Kunstwerke dem begeisterten Publikum zur Schau tragen. Kenner wissen, dass diese Iffelen in aufwendiger Handarbeit von 600 bis 1000 Std. Arbeitszeit sorgfältig nach alter Tradition angefertigt werden. Iffelen zu tragen ist ein Männerprivileg.

Das Wort «Iffele» mutet unbekannt, fremd an. Es leitet sich von «Inful», lateinisch «infula» ab, wobei die etymologische Herkunft unsicher ist. Hergeleitet von «in – fala», griechisch «en – phalòs», würde es «im Licht Seiende, Leuchtende» heissen.

Auf alle Fälle hat der Begriff «Inful» eine vorchristliche Bedeutung. Er stammt aus dem altrömisch – griechischen Kultur- und Kultusraum und bezeichnete eine weisse, ev. auch rote Stirnbinde, 2 bis 3 Finger breit, aus Wolle gefertigt. Eine solche Inful trugen Priester, Vestalinnen, Betende und wurde auch Opfertieren umgelegt.

Macht man einen weiteren etymologischen Link zum hebräischen Begriff «Tefillin», der im Deutschen mit «Gebetsriemen» (von tefilah = Gebet) übersetzt wird, im Englischen und Französischen jedoch mit «Phylacteries» (von griech. phylasso = beschützen, bewahren) wiedergegeben wird, macht dies durchaus Sinn. Der Betende bzw. der Priester öffnet sich im Moment seiner religiösen Handlung und setzt sich dabei allen möglichen geistigen Kräften aus. Die Inful – als Zeichen seiner Weihe an die Götter und seiner Unverletzlichkeit – «bewahrt ihn vor dem Bösen», hätte also eine Schutzfunktion inne.

Die Inful gehörte zum Ornat eines Liturgen, war die Insignie eines bestimmten Amtsträgers und wurde in späteren Zeiten zur Auszeichnung eines königlichen Ranges.

Nach alttestamentlicher Tradition wird im Buch Exodus 28,36-38 beschrieben, dass Aaron zur Ausübung seiner priesterlichen Funktion nebst den offiziellen Gewändern eine Goldspange an der Turbanartigen Kopfbedeckung angebracht, um die Stirn gelegt und mit violetten Bändern am Hinterkopf gebunden werden solle. Auf der Goldspange sollten die Worte «Heilig dem Herrn» eingraviert sein.

Inful des Hohepriesters

Mit der Zeit wurde die Inful gleichbedeutend mit der «Mitra». Wie vom Wort her zu verstehen ist, kommt die Bezeichnung aus dem alten Persien. Heute noch tragen die Parsen solch hohe Kopfbedeckungen.

Der Begriff «Mitra» wurde ins Griechisch übernommen und bedeutet «Stirnbinde».

Seit dem 4. Jh. wurde die Mitra zur Kopfbedeckung der Bischöfe, zunächst flach, oft ein Schleierartiges Tuch um die Stirn fixierend, wobei die Bänderreste, die die Metallspange zusammenhielten, in den Nacken und über die Schultern fielen, die sog. «vittae» (lat. «Bänder»). Ab dem 11. Jh. wurde das Tragen der Mitra für die Bischöfe bei der Ausführung feierlicher kultischer Handlungen für obligatorisch erklärt.

Bischöfe mit flacher Mitra

Mit der Zeit, d.h. seit dem 15. Jh., besonders aber in der Epoche von Louis XIV und Louis XV gingen die Mitren immer mehr in die Höhe und veränderten ihre Form zu dreieckigen Spitzhüten. Ein senkrechtes Band sollte zusätzlich eine optische Verlängerung bewirken.

Was also ursprünglich eine simple Wollbinde war (griech. «diadema» = das Umgebundene; im heutigen Sprachgebrauch bekannt als Diadem), wurde zu einem Schmuckstück, mutierte dann – in Anlehnung an die Phrygische Mütze – zu einer Kappe, wuchs in die Höhe und stabilisierte sich. So tragen die Bischöfe heute im Westen die Mitra für festliche Angelegenheiten und ein bescheidenes Käppchen («Pileolus», lat. «pileus» = Hut, Mütze, auch «Submitrale» genannt, welches mit der jüdischen Kippa verwandt ist) für den Alltag; im Osten – in Anlehnung an die byzantinischen Kaiser – eine Krone bei Feierlichkeiten und einen hohen Hut für den Alltag (griech. Kalimavkion = das Nacken Bedeckende).

Die heute in der Westkirche gebräuchliche Mitra besteht eigentlich aus zwei 3-eckigen Schilden (lat. «cornua»), die im 12. Jh. entstanden. Die Schilde standen anfänglich seitlich und wurden mit einem Stirnband um eine niedrige Haube gebunden. Schliesslich wurden sie gedreht, um Stirn- und Nackenseite zu beschützen. Die Bordüre um die Mitra sowie die beiden im Nacken herabhängenden Bänder erinnern an die ur-sprüngliche Funktion. Die griechische Bezeichnung Mitra stand gleichbedeutend neben dem lateinischen Begriff Infula, zu Deutsch Inful oder in älterer Version Infeln oder eben Iffele, auch Niffele.

Wenn wir den Bogen zum Anfang spannen, so wird deutlich, dass die Iffelen der verschiedenen Chlausumzüge überdimensionierte Infulen bzw. Mitren sind, entweder mit geometrischen Mustern oder religiösen Motiven versehen. Es handelt sich hierbei um eine gut 100-jährige Volkskunst. Je nach Region unterstehen die Iffelen-Gestaltungen klaren Vorgaben. In Küssnacht soll auf der Stirnseite der Hl. Nikolaus dargestellt sein, auf der Nackenseite ein Kreuz und das Christusmonogramm IHS. In Egerkingen, welches ebenfalls eine grosse Tradition kennt, werden verschiedene Heilige, Wallfahrtskirchen, auch die Seligpreisungen und weitere religiöse Themen aus dem christlichen Glaubens auf den Iffelen repräsentiert. Die abstrakten Ornamente orientierten sich anfänglich an gotischen Kirchenfenstern; heute werden den Künstlern gewisse Freiheiten zugestanden. Die erhellten Iffelen sind ein beeindruckendes nächtliches Zeugnis der christlichen Kultur.

Maria Brun, Dr. theol.

Literatur

Weihnachten in Luzern. Weihnachtsführer 2016 der Stadt Luzern, 90-91.

Nouveau Larousse illustré, Paris 1897-1904 (infule/mitre).

Infula: Dicitonnaire Gaffiot, Latin-Français, Paris 1934.

www.etimo.it; www.treccani.it; www.garzantilingistica.it

Duden – Deutsche Rechtschreibung, Mannheim 1996.

Mitra: GEO Themenlexikon. Bd. 16: Religionen, Mannheim 2007. LThK, Freiburg 1986.

de.wikipedia.org; fr.wiktionary.org; el.wikipedia.org; es.wikipedia.org;

de.pons.com; www.religionfacts.com/tefillin;

Herders neues Bibellexikon, Freiburg 2008 (Priester).

Die Bibel. Einheitsübersetzung, Stuttgart 1982.

Spezifische Internet- Artikel zu Nikolaus von Myra, Klausjagen, Iffelen, Inful, Mitra, Königsbinde, Phrygische Mütze.