Die Ruthenische Griechisch-katholische Kirche

Die katholische Kirche besteht aus einer bunten Vielfalt von 24 verschiedenen Teilkirchen mit ihren je eigenen kulturellen und geschichtlichen Hintergründen. – Eine dieser mit Rom in Einheit stehenden und dem byzantinischen Ritus zugehörigen Teilkirchen ist die Ruthenische Griechisch-katholische Kirche.

Aus der Geschichte der Ruthenischen Kirche

Johannes Oeldemann schreibt über die Entstehung dieser Kirche:

„Die Christianisierung der Ruthenen, wie die slavischsprachige Bevölkerung Transkarpa-tiens genannt wurde, geht vermutlich noch auf die Missionstätigkeit der Slavenapostel Kyrillos und Methodios im Grossmährischen Reich zurück. Ab dem 11. Jahrhundert gehörte die Region grösstenteils zum Königreich Ungarn. Bestrebungen zum Abschluss einer Union der orthodoxen Christen in Ungarn mit Rom gab es erst ab dem Ende des 16. Jahrhunderts, um dem vordringenden Protestantismus entgegenzuwirken. Es waren jedoch nicht die Bischöfe, sondern zwei Basilianermönche, die im 17. Jahrhundert die Mehrheit des ruthenischen Klerus für die Union gewinnen konnten. Im  April 1646 nahm der lateinische Bischof von Eger 63 ruthenische Priester in die Gemeinschaft mit der Kirche von Rom auf. Dieses Datum gilt als Geburtsstunde der Ruthenischen Griechisch-katholischen Kirche. Weitere lokale Unionsabschlüsse in den übrigen Gebieten der Karpato-Ukraine folgten 1664 und 1713. Obwohl damit zu Beginn des 18. Jahrhunderts fast alle slavischsprachigen Christen im Nordosten Ungarns in Gemeinschaft mit dem Römischen Stuhl standen, blieb die Situation der Ruthenen unbefriedigend: Ihr Bischof unterstand dem lateinischen Bischof von Eger und ihre Priester mussten als Vikare der lateinischen Pfarrer arbeiten. Erst 1771 errichtete Papst Clemens XIV. auf Bitten von Kaiserin Maria Theresia die selbstständige ruthenische Eparchie Mukačevo mit Sitz in Užhorod.“[1]

Die weitere Geschichte der Ruthenischen Kirche war so wechselvoll wie die politische. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der grösste Teil Transkarpatiens von der Sowjetunion annektiert und in die ukrainische Republik einverleibt. 1949 wurde die Ruthenische Kirche in der Sowjetunion verboten und ihre Gläubigen in die Russische orthodoxe Kirche eingegliedert. Erst mit den politischen Umwälzungen konnte 1991 wieder ein Bischof für die Eparchie von Mukačevo eingesetzt werden. Heute zählt die Ruthenische Kirche ca. 650‘000 Gläubige, verteilt auf eine Diözese in der Ukraine, vier Diözesen in den USA und einem Apostolischen Exarchat in der Tschechischen Republik.

Interview mit Priester Michahil Holoschnjaj und seiner Gattin Natascha Holoschnjaj, Theologin

Im Vorfeld der byzantinischen Liturgie vom    22. Mai in der Churer Kathedrale, der der ruthenische Priester Michahil Holoschnjaj aus Djurdjevo, Serbien, vorstand, veröffentlichte das Pfarreiblatt Graubünden[2] ein Interview mit Priester Michahil und seiner Gattin Natascha, Theologin. – Dieses sei hier wiedergegeben:

„Pfarreiblatt Graubünden: Herr Pfarrer Holoschnjaj, Sie sind Priester der Ruthenischen Kirche. Was sind rituelle Besonderheiten Ihrer Kirche?

Die liturgische Tradition der Unierten der byzantinischen Tradition ist im Grunde genommen jene der Orthodoxen Kirchen der gleichen liturgischen Überlieferung. So sind der Kirchenbau, das Innere der Gotteshäuser, die Gewänder, die liturgischen Texte und oftmals auch der Gesang einer Region gleich. Die Unterschiede in der liturgischen Tradition sind oft „Latinisierungen“ – also Elemente, die aus der Tradition der westlichen, lateinischen Kirche übernommen wurden, wie beispielsweise Fronleichnam oder Rosenkranz.

Wie ist Ihre Kirche entstanden?

Die Unierten Kirchen waren bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ein Teil der Orthodoxen Autokephalen Kirchen. Nachdem die angestrebte Vereinigung zwischen West- und Ostkirche gescheitert war, stellten einige Bistümer in eigener Initiative die Einheit mit Rom wieder her. Zu den ersten gehörten die ruthenischen Bistümer in Litauen-Polen (16.Jh.) und Bistümer in der österreichisch-ungarischen Monarchie (17.Jh.).

Ihre Kirche steht in voller Glaubens- und Sa-kramentengemeinschaft mit der Römisch-katholischen Kirche. Dürfen Sie bei einer Messe im lateinischen Rituskonzelebrieren?

Nach dem Kirchenrecht der Römisch-Katholischen Kirche und dem der katholischen Ostkirchen ist die Konzelebration möglich. Die alleinige Zelebration eines einzelnen Priesters im Ritus, dem er nicht angehört, ist hingegen nicht erlaubt. Falls pastorale Bedürfnisse es trotzdem notwendig machen, bekommt der Priester dafür von der Kongregation für die Ostkirchen in Rom eine Erlaubnis für ein oder zwei Jahre.

Wo liegen die heutigen Probleme der Ruthenischen Kirche?

Das Hauptproblem ist die stets kleiner werdende Zahl der Gläubigen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Emigration, Mischehen mit Angehörigen anderer ethnischen und religiösen Gruppierungen, Demografie… Die Ruthenische Kirche verwendet seit ihrer Gründung die kirchenslawische Sprache im Gottesdienst und die ruthenische Volkssprache in der Pastoral. Für Familien, in denen die ruthenische Sprache nicht mehr gesprochen wird, wird es schwierig, sich in der ruthenischen unierten Gemeinde heimisch zu fühlen. Dennoch gibt es bei uns auch viele sehr kleine Gemeinden, in denen viele Mitglieder nicht mehr Ruthenisch sprechen. In diesen Gemeinden sind die Herausforderungen in pastoraler Hinsicht für die Zukunft besonders gross.

Welche beruflichen Möglichkeiten haben ausgebildete Theologinnen wie Sie, Frau Holoschnjaj, innerhalb Ihrer Kirche?

Vor allem ist es der Religionsunterricht für Kinder und Jugendliche. Vor der Trauung ist es obligatorisch, dass sich die Ehepartner auf das Sakrament der Ehe gründlich vorbereiten. So gestalte ich zwei Abende Religionsunterricht für sie und spreche mit den Ehepartnern über den christlichen Glauben, die Sakramente der Kirche, Spiritualität und andere Glaubensfragen. Danach gehen sie zur Beichte, Kommunion und empfangen das Sakrament der Ehe. Eine Möglichkeit wäre auch, im Gottesdienst als Kantorin zu wirken.“

Daniel Blättler, Protodiakon


[1] J. Oeldemann, Die Kirchen des christlichen Ostens. Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Ostkirchen, Verlagsgemeinschaft topos plus, 20082, Kevelaer, S. 128f.

[2] Pfarreiblatt Graubünden Nr. 10, Mai/2016, Das Interview führte: Sabine-Claudia Nold, Redaktionsverantwortliche.