Die Syrisch-Aramäische Kirche

Die „Kirche des Ostens“ (ausserhalb des Römischen Reiches, in Mesopotamien, also im heutigen Irak, beheimatet) breitete sich im ersten Jahrtausend über Persien und entlang der Seidenstrasse nach Innerasien und China aus. Sie wird bis heute oft fälschlich als „nestorianisch“ bezeichnet, weil man im Westen die unterschiedliche Formulierung der Lehre von der Person Christi als Häresie des Nestorius verurteilte. Unter dem Mongolenfürsten Timur Lenk (Tamerlan) wurden die blühenden Christengemeinden im 14. Jh. fast vollständig vernichtet.

SEERI in Kottayam

Die Thomas-Kirche im südindischen Kerala ist ein Rest der urchristlichen Christenheit in Asien. Leider haben es die Kolonialisten aus Portugal und England (16. – 20. Jh.) fertiggebracht, dass diese Kirche derzeit in sieben Denominationen gespalten ist. Angesichts der heutigen Bedrohung durch fanatische Christenverfolger und modernen Säkularismus wird die Wiedergewinnung der Einheit immer dringlicher. Deshalb sind Einrichtungen wie das St. Ephrem Ecumenical Research Institute (SEERI) in Kottayam von grosser Bedeutung, da hier Studenten und Professoren orthodoxer und katholischer Herkunft zusammenarbeiten.

Im September sind im SEERI wie alle vier Jahre Orientalisten, Semitisten, insbesondere Syrologen aus vielen Ländern von Kanada bis Japan, von Deutschland bis Australien zusammengekommen. Die Syriac Conference gibt ihnen Gelegenheit, das religiöse und liturgische Leben und besondere Feste der Christen syrischer Tradition hautnah kennen zu lernen. In kurzen Referaten präsentieren sie verschiedenste Themen aus dem weiten Gebiet der syrisch-aramäischen Literatur: Diese umfasst Übersetzungen und Kommentare zur Bibel, liturgische Hymnen und vielfältige theologische Werke – häufig in Versform –, aber auch philosophische und naturwissenschaftliche (z. B. medizinische und astronomische) Schriften.

Die Forscher sind daran, die in Handschriften verstreuten Werke der grossen orientalischen Schriftsteller in einwandfreier Form zu publizieren, und Übersetzungen in moderne Sprachen sollen diese Schätze endlich der Welt zugänglich machen. Sie sind nämlich besser als die oft „verkopfte“ westliche Theologie imstande, den Gehalt des christlichen Glaubens am Leben zu erhalten.

Gesungener Glaube

Die tiefen Einsichten der syrischen Theologen, scharf durchdachte Wahrheiten, in lebensvollen Bildern und wohlklingender Sprache ausgedrückt, als Gebete in Rhythmen, die zum wiederholten Mitsingen einladen, haften auch eher im Gedächtnis als trockene Erörterungen in Prosa.

Am 14. September singt man im Qurbono („Opfer“, hl. Messe) des westsyrischen Ritus beim Prozes-sionsgesang vor der Kommunion:

Zur dritten Stund‘, zu aller Zeit verehren wir/

das Kreuz des Lebens,/

und wir bezeichnen uns damit auf unsrer Stirn/

zur Hoffnung und zum Schutz. Es macht uns/

vom Bösen frei, von seiner ganzen Macht bei Tag und Nacht.

Mit seinem Stab teilt‘ Mose vor dem Feind das Meer/

für die Hebräer./

Mit lichtem Kreuz macht‘ auf den Hades unser Herr,/

Er holt‘ die Toten; Lob sei Christus,/

Der bahnt‘ den Weg des Lebens aus dem Grab zum Paradies.

In den Kirchen des Ostens (syrischer, äthiopischer, byzantinischer oder anderer Tradition) wird der Gottesdienst gesungen, denn eine Feier ohne Gesang wäre wie ein Essen ohne Salz und Gewürz. Dabei handelt es sich gewöhnlich nicht um kunstvolle Kompositionen, die einen Chor nötig machen, sondern um Melodien nach traditionellen Mustern, die das Volk – allenfalls unter Anleitung von Vorsängern – auf die liturgischen Texte anzuwenden versteht. Auch Anlässe, die nicht in einer Kirche stattfinden, werden religiös begangen: Eröffnung und Abschluss der Konferenz (s. Abb. 2), die Einsegnung von Bet Maron („Haus des hl. Maron“), des neuen Trakts von SEERI (Abb. 4).

Wertvolle Hilfe

Catholica Unio hat im Verlauf der Jahre mehrere pastorale Projekte der Thomas-Kirche Indiens unterstützt, z. B. die Übersetzung liturgischer Bücher in die Volkssprache und Stipendien für mittellose Studenten. Wer die fruchtbare Tätigkeit des SEERI kennt, weiss den Wert solcher Unterstützung zu schätzen. Während westlichen Professoren die Reise zur Konferenz als Berufsauslagen bezahlt wird, ist Dr. Daniel Assefa, ein äthiopischer Kapuziner und hochqualifizierter Theologe, dankbar für den von CU gespendeten Flug nach Kerala.

In seinem Namen versichere ich Ihnen, den Lesern und Spendern: Seine Teilnahme an der Konferenz hat sich für die Ephräm-Forschung gelohnt – und somit für die Thomas-Christen.

Dr. Jean-Paul Deschler, Protodiakon

Fotos

1) Konferenz-Eingang zum SEERI 

2) Syriac Conference: Abschluss-Feier 

3) Qurbono mit Erzbischof Mar Koorilos 

4) Einsegnung des Bet Maron  

5) Prof. Dr. Daniel Assefa OFM 

6) Erholung auf dem Backwater-Boot