Glaube aus dem Herzen

Das Wesentliche bleibt der Vernunft verborgen

Es gibt unendlich viel zu analysieren, zu diskutieren, zu lamentieren, auch in der Kirche. Probleme gibt es tatsächlich mehr als genug; so ist es schon mal gut, dass über so viele Missstände in der Kirche wie z.B.  über die Missbrauchsfälle, über Machtmissbrauch, über mangelnde Glaubwürdigkeit der kirchlichen Mitarbeiter/innen, über Vertrauensverlust usw. nicht mehr einfach geschwiegen, sondern offen gesprochen wird. Es ist gut, sich den dunkeln Seiten zu stellen und Licht in diese Dunkelheit zu bringen, damit sich grundlegend und heilsam etwas ändern kann.

Auf einer anderen Ebene sind die theologischen Diskussionen, die sich an Glaubensinhalten, an moralisch-ethischen Überzeugungen oder auch an Traditionen und Überlieferungen des konkreten Glaubensvollzuges entzünden. Da wäre es sicherlich immer mal wieder angebracht, innezuhalten und auch das Herz mit ins Spiel all der Erwägungen einzubringen.

Der belgische Autor und Journalist Freddy Derwahl (geb. 1946), der von sich selber sagt: „Ich bin kein überzeugter, sondern ein suchender Christ. Als Autor stehe ich dabei immer im Konflikt zwischen Gefährdung und Gnade. Das ist riskant. Als Journalist sehe ich diese Wegwerf- und Endzeit-Gesellschaft mit dem kritischen Blick für bleibende Werte und demokratische Kultur,“ geht der Bedeutung des Herzens im Glauben nach.[1]Als suchender Christ hat Derwahl mehrmals die orthodoxe Mönchsrepublik auf dem Heiligen Berg Athos besucht und auf berührende Weise über seine Erfahrungen geschrieben.

In seinem Buch „Die Athosreise“ (1996) trägt eines der Kapitel den Titel: „Das Herz des Vaters Nikolaos“; darin schildert er die Begegnung mit dem weisen Mönch Nikolaos, die ihn doch nachhaltig geprägt zu haben scheint. Derwahl schreibt:

Warum soll ich es leugnen, dass ich seine Nähe suchte? Seit Stunden schafft er in den Beeten des Klosterhofes unter den riesigen Zypressen. Ein emsiges Kommen und Gehen von den Rosen zu den Löwenmäulchen, ein Bücken und Stehen, ein Hegen und Pflegen mit Harke und Giesskanne. Manchmal führt er nachdenklich die braunen Finger in den krausen Bart, und ein ver-schwiegenes Grinsen verrät, was ihm wieder einfiel; er vergass die rosa Tulpe drüben, und schon gilt ihr seine ganze Hingabe… So geht es in schwebender Gelassenheit ununterbrochen hin und her.

Als er dann näher tritt und den Schlauch sprühend über seine kleine Licht- und Schattenherrlichkeit hält, sehe ich zum ersten Mal seine Stirn. Harmonisch geschwungene Falten, die in der Mitte ein tiefer Einschnitt trennt, ein Meisterwerk symmetrischer Gewaltenteilung zwischen Güte und Weisheit, deren fein gesponnenes Netz alle menschlichen Höhen und Tiefen trägt; sie haben sich ganz in ihm eingezeichnet, eingeritzt. Es ist auch ein Schriftzug des Leidens darin, mehr noch, diese Linien haben sich zu einer Geometrie des Mitleidens verformt, sind hindurchgegangen von der langen Prüfung zur Kompassion, zur Kunst universalen Mitempfindens. Dann gönnt er sich endlich einen kleinen spitzbübischen Blick auf den Titel meines Buches ‚Glaube aus dem Herzen‘, eine Einführung in das Wesen der Orthodoxie, und die ganze Sorgenlandschaft dieses gütigen Vatergesichtes wandelt sich zu einem strahlenden Lächeln: ‚Ja, das Herz‘, so beugt er sich zu mir, ‚das Herz ist der entscheidende Ort‘.[2]

Das Stichwort „Herz“ führt natürlich sogleich zum ganz grossen Thema auf dem Athos, zum „Herzensgebet“ und dessen Entstehung und zu den grossen theologischen Auseinander-setzungen in der Bewertung und Einordnung dieser Gebetsform. So bewegt also die Geschichte des „Herzensgebetes“ auch war, „Vater Nikolaos hat für die kirchengeschichtliche Chronik dieser alten Kontroverse nur die Bezeichnung ‚Stroh“ übrig. Und für die modische Wiederentdeckung des Hesychasmus als Streugut der fernöstlich gestylten Hippiekultur die Bekräftigung ‚noch mehr Stroh‘.

Er sagt das nicht in weltfremdem Übermut, sondern vielmehr mit einem leisen Bedauern, dass man so elementare Dinge des Herzens zerreden könnte. Auch verweist er darauf, dass dieses Gebet der Herzensstille zwar auf dem Athos zu einer grossen Blüte gekommen sei und bis zum heutigen Tag in der Verborgenheit weiterblühe, doch handle es sich dabei nicht, wie im Westen vermutet, um eine Methode und auch nicht um eine Psychotechnik, sondern um dein Ideal, das bereits von den Wüstenvätern erstrebt wurde und schliesslich von dem Mystiker Symeon, dem Neuen Theologen um die Jahrtausendwende, als die Schau des ‚unzugänglichen Lichtes Gottes‘ umschrieben wurde. […] Für diese Schau des Lichtes, ‚in das Christus auf dem Berg Tabor gehüllt war‘, gibt es in der Vätertradition eine Fülle von Be-zeichnungen, allesamt Crescendo-Versuche, dem ‚Unnennbaren‘ einen Namen zu geben: Weg der Erkenntnis; Anbetung, die alle Räume übersteigt; Wachsamkeit des Geistes; das Werk der zukünftigen Zeit; die himmlische Lebensart; das Land der Lebendigen; das geheimnisvolle Schauen; das in Christus verborgene Leben; die überhelle Dunkelheit…

‚Sehen Sie‘ sagt Vater Nikolaos mit einem bekümmerten Lächeln, ‚das ist kein Theologenstreit mehr, hier wird ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen dem östlichen und dem westlichen Denken berührt, es geht um das Mysterium, und das ist der Kernpunkt unseres Glaubens. Erbsünde, Dreifaltigkeit, Eucharistie, Kreuzestod, Auferstehung lassen sich nicht vor das Tribunal menschlicher Vernunft zerren, sie unterliegen auch keiner Mehrheits-entscheidung…‘

Meine hilflose Frage, was man denn machen kann, beantwortet er nur mit einer schweigenden Öffnung seiner Gärtnerhände, und die Ritzen und Fältchen seiner Stirn formen sich zu einem gotischen Rätselbild. ‚Der Weg ist ebenso geheimnisvoll wie sein Ziel‘, sagt er schliesslich ganz leise, ‚er führt über Abgründe und durch die Hölle, er kann Jahre dauern und bedeutet Kampf mit einem unerbittlichen Feind. Der Weg heisst Demut und das Ziel Jesus‘.

Dann schlägt er mir mit der flachen Hand zweimal auf die Knie und geht zu seinen Beeten zurück…. Jeder einzelnen Blume gilt seine liebevolle Aufmerksamkeit. Als er schliesslich über all diese Pracht den Schlauch hält und mit dem Daumen munter das Spiel des Wassers reguliert, leuchtet um seine hagere Gestalt das bunte Licht der Regenbogen.“[3]

Ein berührendes Buch, das auch die Schattenseiten einer Mönchsrepublik nicht übergeht und ausblendet, das aber doch das Herz aufgehen lässt ob all den Erfahrungen mit Menschen, deren Glaube ganz aus dem Herzen kommt und zu Herzen geht.

Daniel Blättler, Protodiakon

Verlag Pattloch, Augsburg

ISBN-10: 3629006884:

ISBN-13: 978-3629006882


[1] Freddy Derwahl, Die Athosreise, Pattloch 1996, Klappentext

[2] Die Athosreise, S. 101-102

[3] Die Athosreise, S. 104