Grabbesuch – Toten-messen – Grablichter

«Wo Zeichen sprechen»

Symbole sagen oft mehr als viele Worte. Sie sind sinnenhaft, also konkret erfahrbar. Dies trifft besonders auf kirchliche Riten zu (im Osten wie im Westen), weil sie den Weg zur Sinn- und Transzendenzerfahrung eröffnen.

Alle Heiligen (griech., 17. Jh.)

Eines dieser Zeichen ist der Grabbesuch an Allerseelen (Westkirche). Man stellt eine Lampe am Grab auf und entzündet dort bei jedem Grabbesuch ein Licht. Es ist der sichtbare Ausdruck der Liebe und Dankbarkeit. Das brennende Licht und unsere Anwesenheit möchten sagen: «Ich besuche dich. Ich bete für dich. Ich denke an dich. Ich habe dich nicht vergessen.»

Das Licht am Grab wird für uns zur Verkündigung des Glaubens an die Auferstehung. Es erinnert den Grabbesucher daran, dass der Verstorbene nicht für immer von ihm gegangen ist, sondern dass er ihm in die Ewigkeit vorausging, um ihn dort zu erwarten. Das Licht am Grab steht für den Christen in Zusammenhang mit dem Licht der Osterkerze, die ein Symbol für den Auf-erstandenen Herrn ist. Vielleicht könnte man sagen das Grablicht wird zum sprechenden Symbol: «Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn.» Röm 14,8

In einem ostkirchlichen Gebetsbüchlein für Kinder heisst es: «Die Kirche sorgt sich in mütterlicher Weise für ihre Verstorbenen, und zwar im gleichen Masse für die erst kürzlich und die schon vor längerer Zeit Verstorbenen.» Diese Sorge steht im Einklang mit der christlichen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, dem jüngsten Gericht und dem Himmelreich. Unsere Gebete und Liturgien, die wir für unsere Verstorbenen halten, bringen ihren Seelen Ruhe und Frieden in der jenseitigen Welt.

Detail aus der Ikone Aller Heiligen: Abrahams Schoss [1]

Es gibt eine ganze Reihe von Handlungen im Zusammenhang mit dem Totengedächtnis an bestimmten Tagen nach dem Tod und regel-mässig zu bestimmten Jahreszeiten. Nach byzantinischem Brauch sind folgende Gedenk-tage vorgesehen: Am 3.,6.,9. und 40. Tage nach dem Begräbnis hält man einen Gedenktag für   den Verstorbenen. Am neunten Tag wird die  «Litia oder Kolyba» (verkürzte Form der «Parastasis/Panychida») an die Liturgie ange-schlossen. Mancherorts ist es Brauch, dass die Angehörigen die Kolyba als Gabe in die Kirche mitbringen, die vom Priester gesegnet und an-schliessend an die Mitfeiernden verteilt wird.

(Die Kolyba besteht aus in Wasser gequollenen Weizenkörnern. Man mischt sie mit meist mit Rosinen, Mandeln, Nüssen, Sesam, Zimt und Zucker. Vgl. 1 Kor 15,37 – Symbol der Auf-erstehung)

Totengedenktage während des Kirchenjahres sind: Samstag in der Woche des Fleischverzichts; der 2.; 3. und 4. Samstag in der grossen Fasten-zeit; das österliche Totengedenken an einem Dienstag; der Samstag vor Pfingsten und der Demetrios-Samstag.

Am Abend vor den Totengedenktagen wird eine eigene Feier (Parastasis), eine Matutin für die Toten abgehalten. Alle liturgischen Texte, Gesänge und Troparien sind dem Gebet für die Toten gewidmet.

Tropar: «Mit den vollendeten Gerechten lass ruhen, Erlöser, die Seelen Deiner Knechte und Deiner Mägde! Bewahre sie zum seligen Leben bei Dir, Du Menschenliebender! In Deiner Ruhestätte, Herr wo alle Deine Heiligen sich finden, lass auch die Seelen Deiner Knechte und Mägde ruhen, denn Du allein bist unsterblich.»

Am Morgender Totengedenktage wird eine Liturgie für die Toten gefeiert, bei der aller Verstorbenen gedacht wird. Nach der Liturgie wird noch die Panychida (allgemeiner Toten-gedächtnisgottesdienst) zelebriert. Danach ist es üblich die Gräber der Familienangehörigen und Verwandten zu besuchen.

Das Gebet für die Verstorbenen ist eine alte Tradition der Kirche im Osten wie im Westen. Eine besondere Kraft haben die Gebete in der Liturgie, sie ist das Opfer «für das Leben der Welt», dargebracht für die Lebenden und die Verstorbenen. Vor der Liturgie liest der Priester folgendes Gebet (dem heiligen Ambrosius zugeschrieben): «Wir bitten Dich, heiliger Vater, für die Seelen der verstorbenen Gläubigen, auf dass ihnen dieses grosse Geheimnis der Frömmigkeit zur Errettung, zur Erlösung, zur Labsal und zur ewigen Freude werde…»

Über das Gebet für die Verstorbenen sagt Dostojewskij durch den Mund seines Helden, des Starez Sossima: «An jedem Tag und wann du kannst, wiederhole für dich: Herr, erbarme dich aller, die heute vor dich hintreten… Wie gerührt wird seine Seele sein, wenn er in Furcht vor dem Herrn steht und in diesem Augenblick fühlt, dass es auch für ihn einen Fürsprecher gibt, dass auf der Erde ein menschliches Wesen zurückblieb, das auch ihn liebt.»

«Wohnungen im Himmel» (Det. aus einer Ikone vom Gericht, 17. Jh.)

Die vielen Zeichen und Traditionen in Ost und West die wir für unsere lieben Verstorbenen begehen, sprechen für sich, sie zeigen die besondere Verbundenheit mit ihnen. Als Christinen und Christen glauben wir, dass wir alle, die Lebenden und die Verstorbenen in Gott aufgehoben sind: In Gott leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Also leben unsere Verstorbenen bei Gott, und über diesen Gott des Lebens sind wir mit ihnen verbunden.

Archimandrit Roger Schmidlin

Literatur

Sergius Heitz «Mysterium der Anbetung»;
Handbuch der Ostkirchenkunde, Band III;
Seraphim «Die Seele nach dem Tod»;
F. Dostojewskij «Gesammelte Werke»;
Sergius Heitz «Christus in euch: Hoffnung auf Herrlichkeit»


[1] Text zur Ikone «Abrahams Schoss» von J.- P. D.

Auf gemeinsamer Bank sitzen die Vorväter Abraham, Isaak und Jakob, weissgekleidete Seelen auf dem Schoss. Der Ort ist durch stilisierte grüne Bäumchen hinter ihnen deutlich als «irdisches Paradies» gekennzeichnet. Im syrischen Stundengebet legen die Gläubigen die ganze Woche hindurch Fürbitte ein für die Verstorbenen, dann und wann auch mit Worten, die sie selbst mit einbeziehen:…«Schenk ihnen Ruhe im ruhmreichen Schoss der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, damit wir am grossen Tage Deines glorreichen Erscheinens mit ihnen zu Deiner Rechten stehen…» (Westsyr. Einleitungsgebet zur Non)