Im Herzen der Liturgie

Die Anaphora in der Liturgie des hl. Basilius

In der Regel die Chrysostomus-Liturgie…

Wenn wir in den Kirchen des byzantinischen Ritus die Göttliche Liturgie feiern, dann zumeist nach dem Formular des hl. Johannes Chrysostomus, des Patriarchen von Konstantinopel (gest. 407). Die Tradition bezeichnet ihn als den Verfasser dieser gängigen Liturgie, die Sonntag für Sonntag, an den meisten Festtagen und auch unter der Woche gefeiert wird. Auch wenn längstens bekannt ist, dass der   hl. Chrysostomus wohl der Verfasser einiger Gebete, nicht aber der ganzen Liturgie ist, so wird sie doch seit alters her nach ihm benannt. Wahrscheinlich ist der Kern der Chrysostomus-Liturgie in Antiochien entstanden, das sehr alte liturgische Traditionen besass. Hier wirkte Johannes Chrysostomus als berühmter und beliebter Prediger, daher auch die Verbindung der Liturgie mit seiner Person.

Hin und wieder auch die Basilius-Liturgie…

Weniger bekannt, im Herzstück, der Anaphora (Hochgebet), aber auf noch älterer Tradition beruhend, ist die Liturgie nach dem Formular des hl. Basilius (oder Basileios). Äusserlich unterscheidet sie sich in nichts von der Chrysostomus-Liturgie, ausser in der Länge einzelner Gebete und damit natürlich auch in der zeitlich Ausdehnung des Gottesdienstes. Heute wird die Chrysostomus-Liturgie praktisch täglich gefeiert, werktags wie sonntags. Früher war es allerdings gerade andersherum: Bis ins 11. Jahrhundert hatte die Basilius-Liturgie den Vorrang. Daran erinnert der Umstand, dass der Basilius-Liturgie – obwohl nur noch an 10 Tagen im Jahr gefeiert – ganz besondere Tage und Feste vorbehalten sind, nämlich: die Sonntage der Grossen Fastenzeit (ausser der Palmsonntag), der Heilige und Grosse Donnerstag (Hoher Donnerstag), der Heilige und Grosse Samstag (Karsamstag), der Vorabend der Geburt Christi, der Vorabend von Epiphanie und natürlich der Tag des hl. Basilius selber (1. Januar).

Die Anaphora – das Hochgebet

in der Liturgie

Die Anaphora (griechisch: Emporbringen; Darbringung) ist das Kernstück der eucharistischen Liturgie mit dem Hochgebet und dem Einsetzungsbericht.[1] Dieses Kernstück der Liturgie ist zugleich das Herzstück: in der Anaphora begegnen uns in der Regel die ältesten, ursprünglichsten Gebete der Liturgie. Gerade an der Anaphora der Basilius-Liturgie wird spürbar und sichtbar, wie die frühe Kirche darum gerungen hat, das Geheimnis Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist in Worte zu fassen und im Gebet zu besingen. Basilius nimmt die theologischen Anliegen des Konzils von Nicäa (325 n.Chr.) auf und entwickelt sie weiter. «Diesbezüglich wurde der erste Teil der Anaphora, das ‚theologische‘ Gebet (vor dem Sanctus), besonders ausgefeilt, so dass eine nuancierte Darstellung der göttlichen Lebensgemeinschaft von Vater, Sohn und Geist entstanden ist. Innerhalb dieser wird der Sohn gepriesen als ‚das Bild Deiner Güte‘, das gleichwesentliche Siegel, das Dich, den Vager, in sich zeigt, lebendiges Wort, wahrer Gott, Weisheit vor aller Ewigkeit, Leben, Heiligung, Kraft und wahres Licht. Vom Heiligen Geist und von seinem Verhältnis zum Sohn aber wird […] gesagt: ‚Durch Ihn ist der Heilige Geist erschienen, der Geist der Wahrheit, das Gnadengeschenk der Sohnschaft, das Angeld des künftigen Erbes, der Erstling der ewigen Güter, die Leben schaffende Kraft, die Quelle der Heiligung; durch diesen Geist wird jedes vernunftbegabte und geistige Geschöpf gestärkt, dient Dir und sendet Dir den ewigen Lobpreis empor‘».[2]

Der grösste Teil der Anaphora, des grossen eucharistischen Gebetes, wird vom Priester vor und nach dem Einsetzungsbericht leise gebetet. Daher sind diese wunderbaren, tiefen und dichten Gebete kaum bekannt. Für einmal sei hier ein etwas längerer Text abgedruckt: es ist dieser erste Teil der Basilius-Anaphora, vor dem Sanctus:

«Seiender, gebietender Herr, Gott Vater, angebeteter Allherrscher! Wahrhaft billig, gerecht und der Grösse Deiner Heiligkeit geziemend ist es, Dich zu loben, Dich zu besingen, Dich zu preisen, Dich anzubeten, Dir zu danken, Dich, den einzigen, den wahrhaft seienden Gott zu verherrlichen und Dir mit zerknirschtem Herzen und im Geiste der Demut diesen unsern vernünftigen Gottesdienst darzubringen; denn Du hast uns die Erkenntnis Deiner Wahrheit geschenkt. Wer wäre imstande, Deine Macht auszusprechen, all Dein Lob zu verkündigen oder all die Wunden aufzuzählen, die Du, Gebieter des All, Herr des Himmels und der Erde und jedes sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfes, zu allen Zeiten gewirkt hast! Du sitzest auf dem Throne der Herrlichkeit und blickst auf die Abgründe nieder, Ewiger, Unsichtbarer, Unbegreiflicher, Unbeschreiblicher, Unveränderlicher, Vater unseres Herrn Jesus Christus, des grossen Gottes und Retters unserer Hoffnung. Dieser ist das Bild Deiner Güte, das Siegel der Gleichheit, das in sich den Vater zeigt, das lebendige Wort, wahrer Gott von Ewigkeit, Weisheit, Leben, Heiligung, Kraft und wahres Licht. Von ihm erschien der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, das Gnadengeschenk der Kindschaft, das Unterpfand der künftigen Erbschaft, der Erstling der ewigen Güter, die lebendigmachende Kraft und die Quelle der Heiligung. Von ihm gestärkt dient Dir jedes vernünftige und geistige Geschöpf und sendet zu Dir ewige Lobpreisung empor, weil alles Dir dienstbar ist. Denn Dich loben die Engel, Erzengel, Thronen, Herrschaften, Mächte, Gewalten, Kräfte und die vieläugigen Cherubim. Rings um Dich stehen die Seraphim, von denen jeder sechs Flügel hat; mit zweien bedecken sie das Angesicht, mit zweien die Füsse und mit zweien fliegen sie. Mit unermüdetem Munde und mit nie schweigender Lobpreisung ruft einer dem andern

Der Priester laut:

den Siegeshymnus zu, indem sie singen, rufen, schreien und sprechen:

Der Chor:

Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen. Himmel und Erde sind voll seiner Herrlichkeit; Hosanna in der Höhe. Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn; Hosanna in der Höhe.»[3]

Daniel Blättler, Protodiakon


[1] Vgl. Jean-Paul Deschler, WORD AND MEANING, a glossary in liturgy and iconography with special reference to the theology of the eastern churches, Ephrem Ecumenical Research Institute (SEERI), Baker Hill, Kottayam, Kerala, India, 2012, S. 42

[2] Handbuch der Ostkirchenkunde, Bd II, Hrsg: Wilhelm Nyssen, Hans-Joachim Schulz und Paul Wiertz, Patmos, Düsseldorf 1989, S. 18-19

Liturgien, Griechische

[3] Die griechische Basiliusliturgie: Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ottmar Strüber 

Text aus:Griechische Liturgien. Übers. von Remigius Storf ; mit Einl. versehen von Theodor Schermann. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 5) München 1912