Jerusalem – ein viel bedeutender Name

Die etymologischen Spuren zeigen, dass ganz ungeachtet des Alters Jerusalem allen Völkern heilig war, denn es ist der Zentralpunkt einer immer währenden Heilsgeschichte.

Dem vorisraelitischen Volksstamm der Jebusiter war das Bergplateau heilig, dem Gott „Salem“, dem Gott der Dämmerung, geweiht. Jerusalem heisst demnach „Stadt“ (uru oder jeru = Gründung) des Gottes Salem, wäre somit auf göttliche Initiative hin entstanden.

Salem war aber auch die alte Königsstadt des Melchisedech. Da ist interessant zu vernehmen, dass er als Priester des „Höchsten Gottes“ nicht nur Abraham begegnet, sondern in seinem Glaubenszeugnis sich zum gleichen Gott bekennt, „dem Schöpfer des Himmels und der Erde“ (Gn 14,18ff.).

Da Salem auch mit Schalom in Verbindung gebracht wird, ist der „König von Salem“ auch der „König des Friedens“ (Heb 7,2).

Auf dem Berg Moria, dem späteren Tempelberg, opferte Abraham seinen Sohn Isaak (Gn 22,2), stationierte König David die Bundeslade (2 Sam 6) und errichtete König Salomon den Tempel (cf. 2Chr 3,1). Deshalb heisst Jerusalem auch Davidstadt (2Sam 5,9).

Ein weiterer alter Name des Berges ist Zion / Sion (Ps 76,3), welcher sich auf die ganze Stadt und deren Bevölkerung übertrug. Der Berg Zion bezeichnet den Tempelberg mit dem Gottessitz, d.h. es ist der Ort auf Erden, wo Gott am nächsten ist und von wo Gott über alles sieht (Adonai-jirehDominus videt), im eschatologischen Sinne dann auch die „Stätte der Geborgenheit“, des endzeitlichen Heils (Off 14,1). Die Tochter Zion ist die Stadt auf dem Berg, Jerusalem, als „Stadt Jahwes“ bzw. „Gottesstadt“.

In den monotheistischen Religionen hat Jerusalem je eine andere Bedeutung, die sich durchaus ergänzen und woraus leicht zu erkennen ist, weshalb „die Stadt aller Städte“ für alle als heilig gilt:

Im Judentum ist sie die „Stadt des Friedens (Jeru-Schalaim: hebr.); im Christentum zunächst die „heilige Stätte“, dann auch die „heilige Stadt (Hierosolyma: griech.); im Islam mit ähnlicher Bedeutung „die Heilige (Al-Quds; Kurzform von Bayt Al-Maqdis bzw. Bayt Al Maqaddas): arab.), direkt vom Hebräischen übernommen das „Haus des Heiligen (Beit Ha-Miqdash).

Jerusalem um 1779.

„Dies ist Jerusalem! Mitten unter die Völker habe ich es gesetzt und deren Länder rings um es her.“ (Ez 5,5)

Jerusalem – die begehrte Stadt

Älteste Funde bezeugen eine Siedlung um das Jahr 3000 v.Chr. Abwechselnd buhlen verschiedene Völkerstämme um das begehrte Gebiet: Amoriter, Jebusiter, Kanaaniter u.a.m. Kaum ein anderer Ort auf der Erde war und ist so begehrt wie Jerusalem. Und immer wieder wetteifern neue Völker um den Alleinbesitz. Was bewegte so viele, in das Land, in dem „Milch und Honig fliesst“ (Ex 3,8) Einlass zu finden? Das sagenhafte Vorkommen der Purpurschnecke, um das Monopol zur Herstellung der teuersten Farbe der Welt an sich zu reissen? Oder sich einer der belagerungstüchtigsten Städte zu bemächtigen, denn die klügsten Herrscher hatten längst die Wasserversorgung der Stadt mit einem unterirdischen, in den Fels gehauenen Schacht gesichert? Tatsächlich ist der Gichon eine der einzigen ununterbrochen fliessenden Quellen. Geheimnisvoll daran ist, dass der Gichon „einer der Paradiesesflüsse“ ist. Es sind deren vier, Pischon und Gichon, Euphrat und Tigris (Gn 2,10-13). Also gebührt Jerusalem – mit unversiegbarem Paradiesesfluss und dem heiligen Fels im „Felsendom“, einst Brandopferaltar bzw. das Allerheiligste des salomonischen Tempels – bis heute ein unbestreitbarer Vorrang, eine auserwählte Stadt zu sein. Und wen wundert’s da, wenn Jesus auf das Bild eben dieses Jerusalem zurückgreift und sich schliesslich mit dem eschatologischen Jerusalem identifiziert, aus dem „Ströme lebendigen Wassers fliessen“ (Jo 7,37f.) und in dem sich am Ende der Zeiten die „versprengten Kinder Gottes“ (Jo 11,52) wieder zusammenfinden (Js 60)?

Jerusalem – die Heilige Stadt

Wenn man die Entwicklungsgeschichte des modernen Israel seit dem Jahr 1948 vor Augen hält, so kann man sich dem Zitat von Montefiore anschliessen, dass „die Geschichte Jerusalems die Geschichte der Welt ist“ (MF 13). Was dreht sich heute nicht um Jerusalem? Die Geschicke des Mittleren Ostens? Die vielfältigen Friedensinitiativen, die alle zum Scheitern verurteilt zu sein scheinen? Wo sich immer wieder „Menschen guten Willens“ finden, die den Auftrag der Weihnachtsengel nicht vergessen haben. Wo Kräfte verschiedenster Gesinnung gegeneinander auftreten und die heiligsten Orte bedroht sind. Tatsächlich kann man sich die Frage stellen, ob und in welchem Ausmass Jerusalem eine oder sogar die „tragende Säule der Weltgeschichte“ (MF 15) ist. „Alle Städte sind Fenster zu fremden Denkweisen, aber Jerusalem ist wie ein durchsichtiger Spiegel, der das Innenleben preisgibt und zugleich die Aussenwelt reflektiert.“ (MF 18)

Die Oberhäupter der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche machen bewusst einen Schritt aufeinander zu: Papst Franziskus und der Ökumenische Patriarch Bartholomaios an der „Wiege des Christentums“.

Jerusalem ist die einzige Stadt, die auf der Erde und im Himmel existiert (MF 14). Die „Tochter Zion“ ist – wie von alters her erfahren – der zentrale irdische Ort für die Kommunikation zwischen Gott und Mensch (MF 15), denn unweit des Zentrums, in einem Garten (Jo 19,41) nahe der Schädelstätte Golgotha (Jo 19,17) hat sich dieses gewaltige Ereignis zugetragen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist, und unmittelbar hier in Jerusalem wurde er 40 Tage später von seinem himmlischen Vater in den Himmel aufgenommen (Apg 1,4. 9). So würden also auch die biblisch dokumentierten Ereignisse die ausserbiblischen Erfahrungen fremder Völker bestätigen, einschliesslich der Himmelfahrt des Propheten Mohammed von Jerusalem aus (Sure17,1), dass Jerusalem ein einzigartiger Ort auf dieser Erde ist. Ein Ort, an dem  sich Gott manifestiert hat und die göttliche Präsenz wahrnehmbar ist; ein Ort wo – entgegen aller kontrahierenden negativen Mächte – Heilsgeschichte geschieht. So kann man umfassend festhalten:

Felsendom in Jerusalem (Hauptstadt des Staates Israel).

Es hat schon immer „zwei“ Jerusalem gegeben: ein irdisches und ein himmlisches, „und beide wurden stärker vom Glauben und von Gefühlen regiert als von Vernunft und Fakten“ (MF 25).

Maria Brun, Dr. theol.

Literatur:

 Bibellexikon (hg. v. H. Haag), Zürich-Einsiedeln-Köln 1982: Jerusalem, Salem, Sion u.a.;

Bibel – Einheitsübersetzung;

http://en.wikipedia.org/wiki/Names_of_Jerusalem;

Montefiore S.S., Jerusalem. Die Biographie, Frankfurt 2011. (zit. MF)