Maria – die allerheiligste Jungfrau

Am 15. August feiern die Christen das Hochfest zu Ehren der Gottesmutter. Im Westen wird es «Maria Himmelfahrt» genannt, im Osten heisst es «Entschlafung der allerheiligsten Jungfrau Maria». Es ist ein Fest, welches auf eine Jahrhunderte lange Tradition zurückblicken kann. Anfang 7. Jh. legte der oströmische Kaiser Mauritius Tiberius das Datum fest, und zwar kurz vor Ende des Kirchenjahres. Nach orthodoxer Tradition ist die Mutter Jesu etwa elf Jahre nach dem Tod ihres Sohnes gestorben, in einem – für uns Heutige noch recht aktiven – Alter: mit ca. 59 Jahren.

Maria, die Mutter Jesu, ist eine Person, die durch alle Zeiten hindurch zu reden gab, bis auf den heutigen Tag: seien es Hochachtung, Bewunderung, Ehrfurcht, seien es Unverständnis, Skepsis, Ablehnung, die ihr entgegen gebracht werden. Doch das Gute an diesem Hinterfragen ist, dass man sich, vor allem in der Alten Kirche, gleichzeitig auch klar werden musste, wer denn im Grunde Jesus war. So hat das III. Ökumenische Konzil in Ephesus 431 festgelegt, dass Maria «Theotokos», «Gottesgebärerin» genannt werden dürfe, ein Hoheitstitel, den man im Westen lieber mit «Muttergottes» oder «Gottesmutter» wiedergibt.

Die Verehrung der Jungfrau Maria hat dazu geführt, dass es vor allem in der Ostkirche im Zusammenhang mit der Bilddarstellung und der Ikonenmalerei die vielfältigsten Bezeichnungen gibt, die aus der Glaubenserfahrung und Gebetserhörung resultiert. Im Nachfolgenden seien einige Bezeichnungen aufgelistet:

1

Panagia – Allheilige

Theotokos – Gottesgebärerin

Aïparthenos – Immerwährende Jungfrau

2

Glykophilousa – Zärtlich Liebende

Galaktotrophousa – Mit Milch Stillende

3

Eleousa – Barmherzige

Hodegetria – Wegweisende

Peribleptos – Alles Überblickende

Chara ton thlibomenon – Freude aller Betrübten

Elpis ton piston – Hoffnung der Gläubigen

Pokrov – Schutzmantel

Zoodochos pige – Lebenspendende Quelle

4

Kyria ton angelon – Herrin der Engel

Platytera (ton ouranon) – Weiter als die Himmel

Dabei könnte man vier Aspekte unterscheiden:

1 – Die Person Mariens selbst betreffend

2 – Die Beziehung zu ihrem Sohn als Kind

3 – Die Bedeutung für die Gläubigen

4 – Die Bedeutung für den ganzen Kosmos

Im Folgenden seien drei Ikonen vorgestellt:

Pokrov – Schutzmantel Madonna

Die Muttergottes «Pokrov» geht auf eine Legende aus dem 10. Jh. zurück:

Zur Zeit der Türkenbelagerung war Andreas von Konstantinopel, von Geburt an Slawe, aber als Sklave nach Konstantinopel verkauft, die Muttergottes erschienen. Während des Mitternachtsgottesdienstes in der Kirche «Maria von Blachernae» hatte der Selige folgende Vision: Er sah, wie die Gottesmutter aus der Türe des Altarraumes hervortrat und unter Tränen lange betete. Gleichzeitig ertönte wundervoller Gesang eines Chores. Nachdem die Gottesmutter ihre Gebete beendet hatte, breitete sie ihren Schleier über die versammelten Gläubigen aus. Andreas und sein Schüler Epiphanius berichteten davon, worauf die Türken die Belagerung der Stadt abbrachen.

Schutzmantel-Madonna Pokrov, 16. Jh.

Schon in der Antike kannte man den Rechtsakt des Mantelschutzes, bei dem der Beschützende seinen Mantel über den Schutzsuchenden ausbreitete.

Auf der Ikone erkennt man in der Mitte erhöht die Gottesmutter, ihr Maphorion (Schultertuch) in den Händen ausbreitend. Rechts unten im Bild der selige Andreas, ein «Narr um Christi willen», an seiner dürftigen Büsserbekleidung erkennbar, der zu Epiphanius gewandt auf die Muttergottes zeigt. Unterhalb der Allheiligen steht Romanos der Melode, als Hymnendichter in der Sängerkanzel dargestellt. Beider Gedenktag ist am 1. Oktober.

Panagia Kardiotissa

Auf den ersten Blick hat diese Ikone Ähnlichkeit mit der Eleousa oder Glykophilousa. Es fällt jedoch auf, dass das Jesus-Kind voll seiner Mutter zugewandt ist und sich quasi an sie klammert, indem es dem Betrachter oder der Betrachterin den Rücken zukehrt. Anders als üblich schaut es diese nicht an. Das Kind klammert sich angstvoll an seine Mutter, welche ihren Sohn schützend in den Armen hält.

Muttergottes Kardiotissa

Die Panagia Kardiotissa stellt die besonderen Umstände der Flucht nach Ägypten dar und drückt Angst und Schrecken vor dem von König Herodes angeordneten Kindermord aus. Dies lässt sich auch im Ausdruck der Gottesmutter ablesen: ein wissender Blick für die Bedrohung des Kindes und Entschlossenheit, dieses Kind vor allen Gefahren zu schützen.

Einer Legende entsprechend soll 1914 ein Türke, dessen Tochter von Geburt an gelähmt war, dieser wundertätigen Panagia immer wieder Geschenke gebracht haben, so zwei Flaschen Öl und zwei Flaschen Honig. Die Tochter genas und der Türke verehrte die Muttergottes. Im August 2012 fand man die Flaschen in einer Höhle versteckt in der Nähe der Kirche.

Diese Ikone reiht sich in die typische Ikonenmalerei Kretas aus dem 15. Jh. ein; sie ersetzt jedoch typographisch die Originalikone aus dem 9. Jh.

Die gewaltige Schutzherrin

Die Gottesmutter-Ikone des Klosters Koutloumousiou auf dem Berg Athos hat eine besondere Geschichte, weshalb sie «Phobera Prostasia» – «The Mighty Protection» – «Die gewaltige Schutzherrin» genannt wird. Auf dieser Ikone hält die Gottesmutter Jesus, den Christus, auf dem linken Arm, während das Kind ihre rechte Hand mit beiden Händen umklammert. Sein Blick ist ängstlich auf den Engel am rechten Bildrand gerichtet. Dieser hält die Passionszeichen in der Hand: Kreuz, Lanze, Ysopzweig, Kelch.

Muttergottes Phobera Prostasia, 13. Jh.

Der Name der Ikone «Die gewaltige Schutzherrin» hängt mit folgendem Ereignis zusammen: Während eines Überfalls von Piraten auf den Berg      Athos waren die Mönche in eine sehr schwierige Lage geraten. Sie suchten bei dieser Ikone Zuflucht und baten die Gottesmutter um Schutz. Die Jungfrau Maria bewirkte durch aufkommenden Nebel, dass das Kloster nicht mehr zu sehen war, so dass die Eindringlinge das Kloster nicht finden konnten, worauf sie den Berg Athos verliessen. Alle haben erkannt, dass dies durch Intervention der Gottesmutter geschehen war. So kam die wundertätige Ikone zu ihrer Bezeichnung: «Die gewaltige Schutzherrin».

Dr. theol. Maria Brun

Quellen

Pokrov: Onasch Konrad, Schnieper Annemarie: Ikonen. Faszination und Wirklichkeit. Herder 1995, 176f. Auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Mari%C3%A4_Schutz_und_
F%C3%BCrbitte
(16.7.2021)

Kardiotissa: https://www.ekivotos.com/el/001-a4-0002 (16.7.2021); Ταξιδιωτικός Οδηγός Κρήτης⛵⭐ – Μονή Παναγίας Κεράς Καρδιώτισσας cretanbeaches.com (16.7.2021).

Ikone Privatbesitz.

Prostasia: https://www.vimaorthodoxias.gr/agio-oros/i-moni-koutloumousiou-ki-i-thavmatourgi-eikona-tis-panagias-fovera-prostasia/ (16.7.2021)