Mehr „Good News“: Zeichen der Hoffnung im Libanon und in der Schweiz

Liebe Freunde der Catholica Unio,

liebe Leserinnen und Leser

Mit einem herzlichen Ostergruss aus dem Beit-el-Nour (Haus des Lichts und der Hoffnung) in Beirut erhielten wir auch den folgenden Text eines hochrangigen libanesischen Muslims. Diese Ansprache ist äusserst bemerkenswert und für uns überraschend. Sie zeigt eine Wirklichkeit des Nahen Ostens, die bei uns kaum bekannt ist. Grund genug, um dies hier zu veröffentlichen. Und wie es am Schluss des Ostergrusses aus Beirut steht, sind wir versucht zu hoffen: „Vielleicht kommt das Heil vom Libanon…“

Ein Wort zum Fest der Verkündigung: 25. März 2015

Ich bitte um Verzeihung, Jungfrau Maria, wenn ich bei dieser Gelegenheit nicht mehr von  Deinem bemerkenswerten Leben erzähle: es ist eine schlimme Zeit!

Ich bitte um Verzeihung, Jungfrau Maria, Vereinende, Empfangende, Erbarmungsvolle, Wohlwollende, ganz Liebende: die Situation ist unerträglich!

Ich bitte um Verzeihung, Jungfrau Maria, Mutter Christi und unser aller Mutter, die ich sosehr geliebt habe und die alle Muslime und Christen geliebt haben: die Zeit drängt!

Selbst gestern klang Deine Verkündigung voller Liebe und liess Gebetsruf und Kirchenglocken ineinander verschlingen. Gestern noch vereinten sich die kirchlichen Marienlieder mit dem muslimischen Gesang; Muslime und Christen waren in der schönsten Vereinigung verbunden, die die Geschichte jemals gesehen hat und dies trotz allem Zweifel und Hass. Heute offenbart sich Deine Verkündigung uns und den benachbarten Ländern, die von inneren und äusseren Konflikten verwüstet werden. Es sind terroristische, blutige Konflikte, und wilde, bösartige Barbarei, die zu keinen religiösen oder ethischen Werten passen.

Orthodoxe Kirche der Verkündigung, Nazareth

Deine Verkündigung bekunden wir heute mit lauter Stimme, wir, die wir in unserem Herzen und in unserem Geist noch einen Funken Glauben, Vernunft und Erbarmen haben, denn viele sind heute geblendet vom Extremismus: sie sind betäubt von Blutrunst und Lust am Töten Unschuldiger; sie sind darauf versessen, Einheimische zu vertreiben, Kirchen, Moscheen und heilige Orte zu zerstören; blindlings schänden sie Gräber von den Anhängern des Propheten, den Heiligen und Weisen.

Vor langer Zeit waren die Christen des Libanon von einem Dorf in ein anderes umplatziert worden, als Kollektivstrafe weil sie sich über die Steuererhöhung beschwert hatten. Und da erhob der Imam von Beirut, Al-Awzai, die Stimme gegen diejenigen, die die Aufständischen enthaupteten: „Weshalb bestraft ihr eine ganze Gemeinde wegen eines Einzelnen? Weshalb vertreibt ihr sie aus den Häusern und beraubt sie ihres Besitzes? Gott sagte, dass man zu einer Last nicht noch eine andere hinzufügen solle. Und das wichtigste Gebot ist, die Worte des Propheten – Friede und Heil seien mit ihm – zu befolgen, nämlich: ‚Wer ein Unrecht gegenüber einem Christen (moua’ahed) begeht, ihn verleumdet, ihn mit Steuern belastet oder ihm etwas wegnimmt ohne sein Einverständnis, wird mich zum Gegner haben. Und wer dessen Leben und Güter beschützt, dem ist Gerechtigkeit zugesichert, denn jene sind nicht mehr Sklaven (…) sondern freie Menschen.‘“

Und heute frage ich die Muslime: Gibt es unter euch keinen neuen Imam Awzai, der sich der Vertreibung der Christen und Unschuldigen aller Religionen entgegen stellt? Jemand der seine Stimme gegen die Massaker und den Horror erhebt? Gibt es keinen Muslimen, der seinem christlichen Bruder die Hand hinstreckt und sagt: Geh nicht weg! Diese Erde ist auch deine, diese Berge sind deine; der Himmel bedeckt uns beide, die Liebe von Maria umgibt uns beide. (…) Und wenn du trotzdem weggehst, dann musst du wissen, dass wir beide, du und ich, weggehen.

In den Anfangszeiten des Islam hat der irakische Christ Addas von Ninive dem Propheten Mohammed frisches Wasser und Weinbeeren gereicht, als die Bewohner von Taëf in Arabien ihn mit Steinen bewarfen. Wer anders als dieser gläubige Mensch, dessen Herz von Liebe erfüllt war, hätte ihm helfen können? Die Christen haben den muslimischen Minderheiten des Westens die Türen ihrer Kirchen geöffnet, damit sie dort beten können. Und wer anders als diese Christen, über die der Koran sagt, dass sie demutsvoll sind, hätte dies machen können? Haben wir, Muslime, ihre Wohltat zugelassen, und haben wir ihnen Gleiches zurückgegeben? Gott hat im Koran gesagt: „Man wird das Gute nur mit Gutem vergelten.“

Ich bitte um Verzeihung, Jungfrau Maria, Mutter Christi, wenn ich heute Abend nicht von Dir spreche, denn ich habe bis zur Erschöpfung daran gelitten, meinen christlichen Bruder beunruhigt, verfolgt, verzagt zu sehen, nur mit dem einen Wunsch weit weg zu ziehen, weg von hier und von mir… wo ich doch stolz darauf bin, ich der libanesische Muslim, den Christen nicht nur in meiner Nähe leben zu sehen sondern auch in meinen Gedanken und in meinem Herzen, ja dass er sogar in meiner Existenz präsent sein möge.

Gegrüsst seist Du, Maria, als Du geboren wurdest, als Du zu Deinem Herrn zurückgekehrt bist, und wenn Du auferstehen wirst.

Gegrüsst seist Du, Maria, wenn Du die Beste aller Frauen im Paradies sein wirst, da Du die beste Frau des ganzen Universums bist.

Ich entbiete euch allen, Muslimen und Christen im Libanon und in der ganzen Welt, meine besten Wünsche zum Fest der Verkündigung. Mögen unsere Glückwünsche zu diesem Fest und zu jedem Fest zu Ehren Mariens unter dem einen einzigen Wunsch stehen: Der Friede von Maria sei mit euch allen!

Scheich Mohammed Nokkari

Generalsekretär der Islamisch-Christlichen Begegnung um Maria, Notre Dame

(Übersetzung aus dem Französischen: Maria Brun)